Gudrun und Werner Grasmann waren die Gastgeber:innen des elften Türchens im lebenden Adventskalender am 11. Dezember 2019. Sie hatten im Hof ein Zelt aufgestellt und wiesen den Besucher:innen mit weihnachtlicher Beleuchtung den Weg durch die Einfahrt.
Zelt und Unterstand waren adventlich und einladend geschmückt.Als die Besucher:innen nach und nach angekommen waren, begann der Bläserchor 367 Hertz aus Oespel/Kley unter der kommissarischen Leitung von Werner Grasmann einige Lieder zum Advent anzustimmen.
Aus den verteilten Heften mit Liedertexten wurde seitens der Gäste kräftig mit eingestimmt.
Natürlich gab es Glühwein und Kinderpunsch als heißes Getränk für die innere Wärme und Gebäck und Lebkuchen stand bereit. Etwa 35 Besucher waren der Einladung in die Bermesdicker Straße gefolgt. Der Gastgeber las die Weihnachtsgeschichte vor mit dem Titel „Märchen vom Auszug aller Ausländer. Weil alle Anwesende sich von dieser Geschichte sehr angesprochen fühlten, habe ich den Text von Helmut Wöllenstein für Sie/Euch unten an diesen kleinen Bericht mit angehängt.
Zum Türchen von Gudrun und Werner Grasmann kamen Besucher:innen, die sich zum Teil sehr lange nicht gesehen und gesprochen hatten. Beim Heißgetränk wurde sich ausgetauscht und manche spätere Verabredung kam auch dabei heraus. Die Stimmung war adventlich friedvoll. Was kann man mehr verlangen von einem Türchen in einem lebenden Adventskalender.
Text und Fotos: Gerd Obermeit
Märchen vom Auszug aller „Ausländer“
von Helmut Wöllenstein
Es war einmal, etwa drei Tage vor Weihnachten, spät abends. Über dem Marktplatz der kleinen Stadt kamen ein paar Männer gezogen. Sie blieben an der Kirche stehen und sprühten auf die mauer die Worte „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. Steine flogen in das Fenster des türkischen Ladens gegenüber der Kirche. Dann zog die Horde ab. Gespenstische Ruhe. Die Gardinen an den Fenstern der Bürgerhäuser waren schnell wieder zugefallen. Niemand hatte etwas -gesehen.
„Los kommt, wir gehen.“ „Wo denkst Du hin! Was sollen wir denn da unten im Süden?“ „Da unten? Da ist doch immerhin unsere Heimat. Hier wird es schlimmer. Wir tun, was an der Wand steht: ‚Ausländer raus‘ !“
Tatsächlich: Mitten in der Nacht kam Bewegung in die kleine Stadt. Die Türen der Geschäfte sprangen auf. Zuerst kamen die Kakaopäckchen, die Schokoladen und Pralinen in ihrer Weihnachtsverkleidung. Sie wollten nach Ghana und Westafrika, denn da waren sie zu Hause. Dann der Kaffee, palettenweise, der Deutschen Lieblingsgetränk: Uganda, Kenia und Lateinamerika waren seine Heimat.
Ananas und Bananen räumten ihre Kisten, auch die Trauben und Erdbeeren aus Südafrika. Fast alle Weihnachtsleckereien brachen auf. Pfeffernüsse, Spekulatius und Zimtsterne, die Gewürze aus ihrem Inneren zog es nach Indien. Der Dresdner Christstollen zögerte. Man sah Tränen in seinen Rosinenaugen, als er zugab: Mischlingen wie mir geht’s besonders an den Kragen. Mit ihm kamen das Lübecker Marzipan und der Nürnberger Lebkuchen.
Nicht Qualität, nur Herkunft zählte jetzt. Es war schon in der Morgendämmerung, als die Schnittblumen nach Kolumbien aufbrachen und die Pelzmäntel mit Gold und Edelsteinen in teuren Chartermaschinen in alle Welt starteten. Der Verkehr brach an diesem Tag zusammen … Lange Schlangen japanischer Autos, vollgestopft mit Optik und Unterhaltungselektronik, krochen gen Osten. Am Himmel sah man die Weihnachtsgänse nach Polen fliegen, auf ihrer Bahn gefolgt von den Seidenhemden und den Teppichen des fernen Asiens.
Mit Krachen lösten sich die tropischen Hölzer aus den Fensterrahmen und schwirrten ins Amazonasbecken. Man musste sich vorsehen, um nicht auszurutschen, denn von überall her quoll Öl und Benzin hervor, floss in Rinnsalen und Bächen zusammen in Richtung Naher Osten. Aber man hatte ja Vorsorge getroffen.
Stolz holten die deutschen Autofirmen ihre Krisenpläne aus den Schubladen: Der Holzvergaser war ganz neu aufgelegt worden. Wozu ausländisches Öl?! – Aber die VW’s und BMW’s begannen sich aufzulösen in ihre Einzelteile, das Aluminium wanderte nach Jamaika, das Kupfer nach Somalia, ein Drittel der Eisenteile nach Brasilien, der Naturkautschuk nach Zaire. Und die Straßendecke hatte mit dem ausländischen Asphalt auch immer ein besseres Bild abgegeben als heute.
Nach drei Tagen war der Spuk vorbei, der Auszug geschafft, gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest. Nichts Ausländisches war mehr im Land. Aber Tannenbäume gab es noch, auch Äpfel und Nüsse. Und die „Stille Nacht“ durfte gesungen werden – Allerdings nur mit Extragenehmigung, das Lied kam immerhin aus Österreich!
Nur eines wollte nicht in das Bild passen: das Kind in der Krippe, sowie Maria und Josef waren geblieben. – Ausgerechnet drei Juden! Wir bleiben, hatte Maria gesagt,denn wenn wir aus diesem Land gehen, wer will ihnen dann noch den Weg zurück zeigen – zurück zur Vernunft und zur Menschlichkeit?