von Heinrich (Heinz) Kraemer
(*1935) Deininghauser Straße, aufgeschrieben im Oktober 2008.
Meine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg in Bodelschwingh.
Vom Kriegsbeginn am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen ist mir nur wenig in Erinnerung geblieben.
Richtig nah kam dann der Krieg, als der „Stellungskrieg“ gegen Frankreich am 10. Mai 1940 durch die Offensive “Sichelschnitt“ abgelöst wurde. Zwei Dinge sind mir noch im Bewusstsein:
Vorher hatten sich unsere eingezogenen Soldaten in den zwei Sälen der Gaststätte Bergmann versammelt und zogen dann in den Krieg.
Unmittelbar danach warfen britische (Hampden?)-Bomber auf Bodelschwingh die ersten Bomben ab. Dieser Luftangriff dauerte eine Ewigkeit. Das laute Brummen der Flugzeugmotoren war fürchterlich. Die deutsche Flak (Flugabwehrkanone(n)) schoß zwar, aber leider traf sie nicht. Meine Eltern und die meisten Bodelschwingher merkten, dass ihre Keller keineswegs sicher vor Bomben waren.
Als die deutschen Truppen zunächst Polen, die Niederlande, Belgien und dann Frankreich schnell überrollt hatten, wurden die Luftangriffe weniger. Aber dann Ende 1942 wurde es so gefährlich in Bodelschwingh, dass alle Schüler evakuiert wurden. Die Klassenverbände blieben, wenn es eben möglich war, zusammen. Da meine Eltern mich als Siebenjährigen nicht gerne alleine ziehen lassen wollten, kam ich in die Heimat meiner Großmutter in das kleine Winzerdorf Boos bei Bad Kreuznach (Nahe). Nach einem Jahr verließ ich Boos der einklassigen Schule wegen. Ich kam dann nach Bühl / Baden, wo ich bis 1944 blieb. Von dort wurde ich dann aber nach Hause geholt.
In Bodelschwingh versuchte die Bevölkerung, sich sofort nach den ersten Bombenabwürfen besser zu schützen. Es wurden die ersten Bunker gebaut. In der Schloßstraße entstand im Hof der Schreinerei Haumann meines Wissens der erste Bunker in unserer nächsten Umgebung. Dieser Bunker hatte die Form eines Würfels und war am Keller des Wohnhauses Haumann angebaut. Die Größe des Bunkers war ca. 2,50 m x 2,50 m, er war aus Beton hergestellt. Oben besaß er einen 80 cm hoch gemauerten Kranz, welcher mit Sand aufgefüllt bzw. abgedeckt war.
Auf dem Gelände der Zeche Westhausen wurde ein Tunnelsystem, das mit Betonröhren und –Teilen gebaut worden war, als Bombenschutz angelegt. Danach wurde das System mit Bergemitteln (Steine aus der Zeche Westhausen) überkippt. Dieser Bunker war ziemlich sicher. Aber im Laufe des Krieges, als die Bombenangriffe sich häuften, war dieser Bunker für viele Leute schlecht zu erreichen. Es wurde daher schon Ende 1942 unter der evangelischen Kirche in Bodelschwingh ein Bunker gebaut. Hinter dem Haus Deininghauser Straße 8 (Böker / Barrenbrügge) wurden zweiStollen vorangetrieben. Beide Zugänge wurden von der Deininghauser Straße aus 1,50 m tief angelegt. Dieser Stollen knickte vom südlichen Eingang nach Norden ab und wurde mit dem nördlichen Eingang verbunden.
Der nächste Bunker entstand in einem Auber (Schnittbereich mehrerer Parzellen) auf der Grenze der Grundstücke: Gommen, Sandfort und Krämer. Dieser Bunker war ein vorgefertigtes System von der Beton-Firma Casper Hessel. Er hatte zwei Eingänge, jeweils von der östlichen Seite. Von Gommen führte eine steile Treppe hinunter und von Sandfort aus war der Bunker ebenerdig zu begehen. Der Notausstieg befand sich am westlichen Ende der Röhre.
Den Bau unseres Bunkers habe ich im September 1944 miterlebt. Zunächst wurde eine Baugrube 2,5 m tief, 2 m breit und 4 m lang ausgehoben. Dann wurden in dieser Grube, genau wie im Bergbau, Rahmen gesetzt, und zwar wurde Rahmen an Rahmen gesetzt. Zusätzlich wurde jeder Rahmen auf dem Boden verkeilt. Der Bunker bekam einen Zickzacklauf als Eingang und einen Kriechgang, der gut gesichert war, am Ende des Bunkers. Die Rahmen des Bunkers wurden mit drei Schichten Bahnschwellen abgedeckt und obendrauf kam eine ein Meter dicke Lehmschicht. Diese Lehmschicht wurde wieder mit Bahnschwellen abgedeckt und obendrauf mit altem Heu und Stroh zugepackt. Hierauf wurden nochmals eiserne Bahnschwellen aufgebracht und das Ganze wurde mit Lehm zugeschüttet. Ob der Bunker wirklich bei einem Volltreffer gehalten hätte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall waren wir gerüstet für die letzte Zeit des Krieges.
Meine Zeit von September 1944 bis zum Kriegsschluss 1945 war im Anfang noch ausgefüllt mit Schulunterricht bei Herrn Esser, Frau Vogel und bei Frau Lippelt. Aber ab Dezember war das kaum noch möglich. Es war fast ständig Fliegeralarm. Ein Fliegerangriff ist mir in besonderer Hinsicht in Erinnerung: Der Angriff auf Westerfilde mit sehr vielen Toten. Es war Anfang März 1945, ich war gerade bei meiner Großmutter und Tante in der Schloßstraße, als wir plötzlich vier Christbäume am Himmel sahen, die ein Viereck bildeten. Diese Markierungen wurden von amerikanischen Pfadfinderflugzeugen abgesetzt. Durch den Nordost-Wind wurden diese in Richtung Westerfilde abgedrängt. Die nachfolgenden Bomber (wahrscheinlich amerikanische B 17?) warfen in dieses Viereck ihre Bomben ab. Getroffen werden sollte die Kokerei Westhausen, aber die Bomben fielen auf Westerfilde und auf das Lager der russischen Fremdarbeiter (Nähe Wennemarstraße). Es waren sehr viele Tote zu beklagen. Ansonsten flogen die Alliierten viele Angriffe auf die Stickstoffwerke in Ickern. Wir hatten oft den Eindruck, als würden die Flugzeuge von Bodelschwingh aus Anlauf nehmen, um die Werke zu treffen. Deshalb wurden oft Bomben in der Gemarkung Brehloh / Richterstraße abgeworfen. Dabei wurde auch das Haus der Familie Griemmert getroffen. Bei einem solchen Angriff fiel auch eine Luftmine auf einen Mühlstein, der im hinteren Teil des Völkmannschen Hofes (Westermann) lag und riss auch den nördlichen Teil der Stallungen weg.
Ende März 1945 deuteten sich auch für uns die letzten Tage des Krieges an. Zunächst kam eine Polizeitruppe, die aus Holland kam, durch Bodelschwingh. Sie machte Halt für einen Tag. Ihre Transportmittel waren mit Pferden bespannte Wagen, sowie viele leichte zweirädrige Karren von Ponys gezogen. Kurz vor Ostern (1.April) durchquerten unser Dorf drei deutsche Sturmgeschütze auf Selbstfahr-Lafetten (ein Teil von Hitlers Wunderwaffen). Die Soldaten hatten für ihre Geschütze kaum noch Sprit und nur noch einen Schuss Munition. Ein Geschütz zog die zwei anderen, um Sprit zu sparen. So aneinander gekettet fuhren sie in Richtung Dortmund.
Einen Volkssturm in der Ortsgruppe Westerfilde / Bodelschwingh gab es auch. Aus Baumstämmen und Teckelwagen (Grubenwagen von der Zeche), die mit Abraum (Steinen) gefüllt waren, wurden Panzersperren errichtet. Eine davon befand sich auf der Schloßstraße an der Mauer des Schloss-gartens. Der Volkssturm holte mit einem von der Zeche gestellten Lastwagen am Gründonnerstag vom Ostbahnhof Dortmund Panzerfäuste und Handfeuerwaffen ab. Mein Vater, der auch bei dieser Aktion dabei war, wurde dort mit den Worten empfangen „Wie viel Waggons von diesen Dingern wollt ihr haben“. Mein Vater berichtete uns, dass dort ein ganzer Güterzug mit Panzerfäusten stand. Karfreitag war dann Übungsschießen in der Mergelkuhle von Bauer Grollmann (zwischen Westerfilder Berg und katholischem Friedhof) angesagt.
Auf der Höhe des katholischen Friedhofes war ebenfalls eine Panzersperre aufgebaut. An dieser Stelle sollten Wilhelm Haumann, Otto Schmidt und mein Vater Bodelschwingh verteidigen. Doch diese drei Männer hatten sich schon einen Fluchtweg ausgesucht, denn sie wussten von der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens. Das Problem des Bodelschwingher Volksturms löste sich in der Woche nach Ostern auf, denn die NS-Granden hatten das Weite gesucht. So endete das Kapitel Volksturm.
Am Donnerstag nach Ostern tauchten mit einem Leutnant 35 deutsche Fallschirmjäger auf, die Befehl hatten, das Dorf zu verteidigen. Der Leutnant richtete seinen Befehlsstand im Haus Ernst Thiemann, Schloßstraße ein. Als Verstärkung für die reguläre Truppe kamen 15 Volkssturmmänner aus Bochum, die sich in den Wirren des Krieges schlichtweg verirrt hatten. Bodelschwingher Bewohner hatten dann den Bochumern den Heimweg gezeigt. Aber am katholischen Friedhof wurden sie von den Fallschirmjägern eingeholt und gezwungen, mitzukämpfen.
Freitags nach Ostern hörte man ständig schweres Maschinengewehrfeuer. Den ganzen Tag konnten die Deutschen damit den Bahndamm zu der Zeche Gustav und einen Teil der Castroper Straße halten. Ein erster Panzerangriff der Amerikaner wurde nach dem Abschuss zweier feindlicher Panzer abgebrochen. Sie standen in Höhe des heutigen Quakmannsweges. Die Amerikaner beschossen am späten Vormittag den Bereich der evangelischen Kirche. Die Rentei von Schloss Bodelschwingh in der Parkstraße wurde zur Hälfte zerstört. Unser Haus an der Deininghauser Straße 8 bekam auch einen Treffer ab. Zwei Granaten landeten auf unserer Grundstücksmauer.
Den Nachmittag verbrachten wir, meine Mutter, Großmutter, zwei Russinnen und ich fast durchgehend im Bunker. Am Abend kamen mein Vater und zwei Franzosen dazu. Gegen ca. 19.30 Uhr gingen mein Vater, eine Russin und ein Franzose ins Haus, um das fertig stehende Abendessen zu holen. Sie waren gerade im Haus, als ein fürchterlicher Granatenhagel einsetzte. Wir hatten schon alle mit unserem Leben abgeschlossen. Nach 20 Minuten, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen, war alles vorbei. Die Essenholer kamen unversehrt in den Bunker zurück. Nach einer kurzen Pause wagten mein Vater und die zwei Franzosen über die Denkmalmauer zu sehen.
Sie erkannten einen Trupp Soldaten auf dem Hof von Bauer Völkmann. Es waren Amerikaner. Die Nacht verbrachten wir im Bunker. Am frühen Morgen gingen mein Vater und die Franzosen ins Haus, um die Pferde zu versorgen und die Schäden festzustellen. Unser Betrieb (Gärtnerei) war total zerstört.
Aber weit schlimmer hatte es die Familie Hagemann (Ecke Bermesdicker / Schloßstraße) getroffen, die derzeitig im Haus Gommen (Schloßstraße) wohnte. Durch den Artilleriebeschuss waren drei Familienmitglieder getötet worden: Großmutter, Mutter und ein Kind. Das älteste Kind Marga war schwer verletzt. Die Amerikaner hatten sie in ein Lazarett gebracht. Mein Vater und die beiden Franzosen halfen noch bei der Bergung der Toten, als uns die Amerikaner aus dem Bunker holten. Auf dem Bunkerrand standen drei Amerikaner mit Maschinenpistolen im Anschlag. Zwei weitere Amerikaner holten uns mit gezogenen Revolvern aus dem Bunker. Sie wunderten sich, dass nur vier Frauen und ich darin waren.
Sie vermuteten überall versprengte Soldaten. Als ich zur Deininghauser Straße schaute, sah ich Panzer an Panzer hintereinander stehen. In unserm Haus war alles durchgewühlt, der Schreibtisch war ausgeräumt, aber das Mobiliar war unversehrt.
Für mich war der Artilleriebeschuss das Schlimmste, was ich im Krieg erlebt habe.
Der Bunker an der Wenemarstraße wird mit Bergen (taubes Gestein aus der Grube) überkippt. Hier die Sicht vom Zechensportplatz. Im Hintergrund: Der Malakowturm (Scht 1) und Scht 3 der Zeche Westhausen.