Zwei verschiedene Beiträge zum Thema
1.) Aus „Heimatblätter für Castrop und Umgegend, Nr. 3, März 1923
Die Brothusaren (von Friedrich Schopohl)
,,Not kennt kein Gebot“. Bettelei ist verboten, aber was sollten arme Leute machen, wenn sie unverschuldet in Not kamen. Sie mussten betteln.
Da sie sich des bettelns schämten, gingen sie nachts, schwärzten ihre Gesichter mit Ruß und klopften bei Bauern ans Fenster. Sie riefen: „Die Brothusaren sind da“. Bauern standen auf und reichten ihnen ohne Frage Brot oder Speck.
En altes Sprichwort sagt: ,,Vann reimen lecken kommt de Rüens ant Liär friäten“. Die Bettler nahmen überhand. Es wurde nicht gebeten, es wurde gefordert. Machten die Bauern nicht auf, dann wurden Scheiben eingeschlagen oder Steine flogen durch die Scheiben. Das war keine Bettelei, es war Räuberei. Da wehrte sich der Bauer mit Hunden und Flinten. Bald schossen auch die , „Brothusaren“.
Ein Bauer in Schwieringhausen hatte gespart und gespart. Das Gut Alt-Mengede sollte mal verkauft werden, und das wollte er gern kaufen. Sein Geld lag wohlverwahrt in einer mit Eisenbändern gesicherten Eichenkiste, sie hatte ein gutes Schloß und war in der Schlafstube am Boden fest verschraubt. Brothusaren schlichen nachts ins Haus, knebelten zuerst den Bruder, der bei den Pferden schlief, drangen in die Schlafstube und knebelten den Bauer und die Frau. Die Kinder jagten sie in die Küche, wo sie ein Brothusar bewachen mußte. Mit der Axt zertrümmerten sie die Geldkiste, die Betten banden sie zusammen und räumten den Leinenkoffer aus. Der Bauer glaubt, sein Nachbar sei dabei und sagt: „Noachver, du büst auk derbie“? Da zieht der Kerl das Messer, sticht ihm ins Auge und sagt: ,,Oalle Junge, kennst du mi nu auch no“? Da war der Bauer still.
Der Kerl, welcher die Kinder bewachte war neugierig. Er kam auch mal in die Kammer. Derweilen kroch eins der Kinder unter einen großen Kessel. Als er wieder in die Küche kam, fehlte ein Kind. Er rief in die Kammer. ,,Aaein Blag es wäg! Es is utrieten!“ Da rissen auch die Räuber aus, allerdings ließen sie den Raub nicht im Stich. Der Bauer konnte sich und die Frau frei machen. Der Bruder war nicht im Stall. Am anderen Morgen fand man ihn tot in der Hecke, wo es zum Eckey geht. Er hatte wohl Hilfe holen wollen und war dabei am Herzschlag gestorben. Endlich kamen bessere Zeiten und die verstärkte Polizei machte dem wilden Treiben ein Ende.
Nach 1870 gab es eine flotte Zeit, denn die Industrie nahm plötzlich einen ungeahnten Aufstieg. Geld wurde verdient, viel Geld! Aus allen Wirtschaften klang es: „So leben wir, so leben wir alle Tage“ Dem gewaltigen Aufstieg folgte bald der ebenso furchtbare Zusammenbruch. Auf die Völlerei folgte die Bettelei. Wieder gingen Brothusaren, wieder entstand Räuberei.
Vorsteher Leßmöllmann kam mal gerade recht, als es bei Dingebauer losgehen sollte. Er weckte Thabe, [aus] Dingen, den Schloßdiener Kleine, [Schloß Dorloh,] Dingen; Dingebauer selbst ging mit einem alten Säbel gegen die Kerle vor. Die Räuber wurden überwältigt und nach Castrop gebracht. Der Richter gab ihnen, die aus Kirchlinde waren, einen ordentlichen Denkzettel. Damit endete die Räuberei in unserem Bezirke.
Anmerkung zur Abbildung:
Der persönliche Jahresband der Heimatblätter von Fr. Schopohl.
Anmerkung zur Abbildung:
Friedrich Schopohl im Kreis seiner Schüler*innen.
2.) Aus Heimatblätter für Castrop und Umgegend, Nr. 12, März 1924
Die Brothusaren (von Dr. Dorider)
Die Erinnerung an den geschilderten Kircheneinbruch von 1846 ist in Henrichenburg lebendig geblieben bis heute. Ebenso unvergessen ist der Versuch, den eine auswärtige Diebesbande dem abgelegenen Dorfe im Februar 1867 des Nachts abstattete.
In jenem Jahrzehnt wurde die ganze Gegend von einer anscheinend großen, wohlorganisierten Bande beunruhigt, ohne daß es möglich war, den Gesellen das Handwerk zu legen. Das Gebiet von Herne, Bochum, Castrop, Waltrop hatte besonders zu leiden. In einer Februarnacht sollte nun die Ausplünderung Henrichenburgs vorgenommen werden. Die Wäschestücke, die man in jenen Tagen des nachts ruhig auf der Bleiche oder auf der Leine ließ, waren von den Dieben schon eingesammelt, und man schickte sich an, das Innere der Häuser zu „revidieren“. Neben der Kirche in der Küsterei wohnte der Schuster Hüser. Kurz vorher hatte Hüser einige Paar Schuhe verkauft und so etliche Taler Geld im Koffer liegen. Merkwürdigerweise wurde bei ihm der Anfang gemacht. Die Diebe hatten bereits den Koffer durchs Fenster gehoben, auf den benachbarten Kirchplatz gebracht und suchten ihn zu öffnen, als Alarm geschlagen wurde. Mit dem üblichen Alarmrufe „Spitzbau he-i“ wurden die Dorfbewohner aus dem Schlafe geweckt; die Diebesbande suchte das Weite. Der Schreiner und Weinkelter Franz Böhmer sprang aus dem Fenster und gab auf das flüchtende Gesindel noch einen Schuß ab. Aber promt erhielt er Antwort zurück. Zeitlebens hat Franz Böhmer die Spuren des Schrammschusses über dem Auge als Andenken an jene Nacht behalten.
Inzwischen hatten sich die Henrichenburger bewaffnet und setzten der Bande nach. Die Spuren im Schnee führten durch die Alt-Emscher, nach Habinghorst, Pöppinghausen, Herne. Hier hatten die Diebe bei der Wirtschaft Stein, die vor Herne an der Chaussee nach Recklinghausen lag, ihre Einbrechertätigkeit wieder aufgenommen, denn an eine Verfolgung dachten sie nicht mehr. Von den anrückenden Henrichenburgern wurde die Bande gestört und verscheucht. Die Verfolgung wurde fortgesetzt. In Herne erhielten die Verfolger Verstärkung in der Person eines Gendarmen, der nun die Führung übernahm. Man gelangte bis zu einer Ziegelhütte vor Eickel. Hier verlor sich die Spur der Einbrecher plötzlich. Einen Angriff auf die Ziegelhütte wagten die Henrichenburger denn doch nicht. Man kehrte um. Zum Schusse waren die Henrichenburger nicht gekommen, und das war gut. Denn als sie auf dem Heimwege ihre alten Vorderlader probieren wollten, zeigte es sich, daß keines der Gewehre los ging. Die Verfolgung war ohne Ergebnis gewesen, nur der Gendarm hatte für alle Fälle die Fußstapfen im Schnee ausgemessen. – Später gelang es der Bande habhaft zu werden. Eine Unmenge gestohlener Sachen wurde bei ihr ans Tageslicht gefördert, herrührend aus Diebstählen in den Kreisen Bochum, Dortmund, Essen, Recklinghausen, Lüdinghausen. Es handelte sich um die berühmte Eickler Bande. Im Monstreprozess, der am 15. Oktober 1868 in Hamm zu Ende ging, wurden 27 Angeklagte zu 80 1/2 Jahren Zuchthaus und 57 Jahren Polizeiaufsicht verurteilt. Den Mittelpunkt der Bande bildete die Familie Sens, genannt Schafställer zu Eickel. Dietrich Sens erhielt 15 Jahre Zuchthaus und 5 Jahre Polizeiaufsicht. Ein anderer „Hauptmann“, der Zigarrenmacher Munter, bekam dieselbe Strafe. Ihm wurden nachgewiesen 49 schwere Diebstähle, 1 versuchter schwerer Diebstahl und 4 einfache Diebstähle. – Der alte Hüser aus Henrichenburg mußte in Hamm zeugen und sogar 8 Tage in dieser großen Stadt bleiben. So lange ist er nie wieder von hause fortgewesen, und eine so große Reise hat er in seinem Leben nie wieder gemacht.
Auch in Castrop löste die Festnahme der Gesellen allgemeine Befriedigung aus. Das beweist eine Notiz, die ich in einer alten ausgelesenen Zeitung fand. Da heißt es dann: Man schreibt uns aus Castrop, 3. Januar 1868. Der Gerichtsbezirk Bochum hat wohl unbestritten im verflossenen Jahr das größte Kontingent von Verbrechern im Preußischen Staate geliefert, da allein aus der letzten Schwurgerichtsperiode, die im November zu Hamm stattfand, für verschiedene Verbrechen 75 Jahre Verbüßungszeit datieren. Wenn man fast allmonatlich von einem Totschlage oder allwöchentlich von gemeinen Diebstählen hörte, so konnte es nicht Wunder nehmen, wenn manchem Angst zu Mute wurde, wenn er nachts gezwungen war, über Land zu gehen. Unter solchen Verhältnissen mußte es allgemeine Freude erregen, daß jenes 40 Personen starke Diebesnest zu Eickel ausgenommen wurde, wobei besonders durch die große Geschicklichkeit eines Kreisrichters eine ergiebige Ausbeute von Hehlern und Stehlern gemacht wurde …“ – Die nähere Umgebung Castrops weiß außerdem viel von Banden und Einbrechern zu erzählen. Der Castroper Gendarm Kettler fing in Castrop 1868 den berüchtigten Einbrecher Schlüter. – Die Obercastroper Höfe haben unter Ueberfällen vermummter Banden viel zu leiden gehabt. Ein halbvergessener Dorf[ge]sang verherrlicht Glück und Ende dieser Gesellen. – In der Nacht vom 23.-24. Februar 1877 machten 18 Kerle mit geschwärzten Gesichtern Oestrich und Brüninghausen unsicher und erpreßten Geld und Lebensmittel. Ob die zahlreichen Brände in den Jahren 1876 und 1877 auf die Tätigkeit einer Brandstiftergesellschaft zurückzuführen sind, weiß ich nicht. – Die Castroper Bande Marcus-Friebeck unternahm in den 60er Jahren Beutezüge ins Münsterland und soll Wagenladungen heimgebracht haben. Ihren Schlupfwinkel hatten diese Räuber auf dem Schellenberg.