Vorwort aus der Broschüre
Wie haben Sie das Kriegsende erlebt?
Ist es an der Zeit, sich zu erinnern?
Sollen wir unsere Geschichte mit Kindern und Enkeln teilen? Wie können wir unsere Kind- und Kindeskinder davor bewahren, in solche Zeiten zu geraten? Solche Fragen wurden im Heimatverein Mengede besprochen. Mit dem Vorsitzenden Paul Gausepohl erörterte auch die Gruppe Bodelschwingh – Westerfilde, ob es wichtig sei, Erinnerungen an die Kriegsendezeit in unseren Ortsteilen zu sammeln. Im Folgenden finden sie solche Erinnerungen von Menschen, die die Jahre 1941-1946 in Bodelschwingh und Westerfilde selbst erlebten.
Anhand des Lebensalters der Autoren ist zu ersehen, daß Mitglieder des Jahrgangs 1940 die jüngsten sind, die sich bewusst des Kriegsendes und einiger Momente davor erinnern können. Die Älteren stehen schon in ihren 70er Jahren oder sind noch älter. Die Erzählenden berichten also aus ihrer Kinder- und Jugendzeit und von dem, was ihnen Eltern und Großeltern in den Familien weitergegeben haben. Wir haben zwei Berichte von bereits Verstorbenen, Elisabeth von Chappuis zu Knyphausen und Alma Siebald, aufgenommen. Außerdem veröffentlichen wir Auszüge aus den Chroniken der christlichen Gemeinden in Bodelschwingh. Die Erinnerungen sind zum Teil persönlich aufgeschrieben oder nach dem Gehörten wiedergegeben und dann von dem Erzähler korrigiert worden (Anmerkung s. u.).
Der Respekt der Herausgeber vor den persönlichen Erinnerungen jedes Erzählers steht vor allen Überlegungen der Nachbearbeitung. So haben wir uns bemüht, den Erzählstil zu bewahren. Einzelne, gleiche Erlebnisse und Begebenheiten werden zum Teil unterschiedlich erzählt. Männer schreiben über Panzersperren, Flak und Volkssturm, Frauen über zerstörte Wohnungen und Lebensmittelknappheit. Persönliche Erinnerungen erheben nicht den Anspruch, frei von Irrtümern zu sein. So wurden sie von den Herausgebern nicht kommentiert. Ergänzungen wurden nur dann vorgenommen, wenn sie zum allgemeinen Verständnis notwendig sind. Sie sind in Klammern gesetzt () und kursiv geschrieben. Die Erinnerungen sollen durch diese Veröffentlichung erhalten bleiben und zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit anregen.
Anmerkung: Die aus der Zeit nach dem Krieg vorliegenden schriftlichen Berichte wurden in der Rechtschreibung nicht geändert. Bei den erzählten und dann aufgeschriebenen Berichten haben wir uns bemüht die zur Zeit geltende Rechtschreibung anzuwenden. Die Fragestellung der Herausgeber: „Wie haben sie das Kriegsende erlebt?“, wird unserer erlebten Vergangenheit nicht gerecht. Dies haben die Befragten auch geäußert und darauf hingewiesen, dass eine Momentaufnahme, die des Kriegsendes, eine Geschichte „davor“ und „danach“ hat. So ist den Erzählenden und den Herausgebern bewusst, dass die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Strömungen, lange vor der Machtergreifung Hitlers und vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges, beginnend mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg, dem Ende des Kaiserreiches, den Reparations-forderungen der Siegermächte und der Weltwirtschaftskrise, dem Antisemitismus und dem Nationalsozialismus den Boden bereitet haben. Das Verhängnis war vielleicht nicht zu verhindern, aber vorhersehbar.
Die Auswirkungen der großen Politik spiegeln sich auch in den Erinnerungen von Bodelschwingher- und Westerfilder Bürgern, im Schicksal jedes Einzelnen und seiner Familie wider. Bei der Arbeit an diesem Heft haben wir erfahren, dass unsere Geschichte „vor Ort“ durch Menschen ein Gesicht bekommt. Wir wollen solche Zeiten nicht noch einmal erleben. Wir wehren uns gegen radikale Strömungen, gleich ob sie von „links“ oder „rechts“ kommen. Das Bewusstsein, in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung leben zu dürfen, soll immer lebendig sein.
Um dieses Bewusstsein, zu vertiefen, sei ein Zitat von Günter Eich (1907-1972) vor die Erinnerungen gestellt:
„Ah, du schläfst schon? Wache gut auf, mein Freund!
Schon läuft der Strom in den Umzäunungen, und die Posten sind aufgestellt.“
Nein, schlaf nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Sei mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Munde nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!
Aus dem Hörspiel Träume, Buchausgabe 1962 (dem Jahr der Kubakrise), Erstsendung am 19. April 1951 im NWDR, Ende des fünften Traumes.
Die Herausgeber Barbara Gerstein, Annemarie Heinrichs, Heinrich Krämer, Siegfried Nolte, Otto Schmidt (Gruppe Bodelschwingh und Westerfilde im Heimatverein Mengede e. V.) bedanken sich bei den Autoren, die ihre Erinnerungen jetzt mit den Lesern teilen. Sie wünschen allen Lesern eine lebendige Weitergabe unserer erlebten Geschichte in Bodelschwingh und Westerfilde.
Für die Redaktion: Otto Schmidt